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john carter im gespräch mit klaus staudt

"john carter [enwickelt] für jedes seiner objekte ein auf mathematischen oder geometrischen setzungen aufbauendes system" schreibt britta buhlmann 1994. einfache regeln werden als leitparameter für den prozess der entstehung eines neuen objekts aufgestellt. "was würde passieren, wenn...?" ist mel goodings interpretation dieser, john carters versuchsanordnung und arbeitsweise. genau darüber diskutieren der künstler und klaus staudt im folgenden. ein gespräch, transkribiert anlässlich john carters erster einzelaussellung "auf dem kontinent" in der edition & galerie hoffmann 1990.

john carter: "corner – equal areas and spaces" (1985), acrylic on wood, 27 x 30 cm

john carter: "corner – equal areas and spaces" (1985), acrylfarbe auf holz, 27 × 30 cm

die tiefe ist flächengleich der aus dem innern des quadrates ausgeschnittenen fläche. so geht nichts verloren, es gibt keinen abfall! die gesamte negativfläche ist zu seitenflächen geworden. auf diese weise wird das quadrat zu einer fläche, die von der wand wegfliegt.

john carter, 1990

klaus staudt

john, ich habe deine objekte, deine reliefs und deine zeichnungen hier gesehen und ich denke, sie sind sehr interessant, ich möchte einiges von dir über sie erfahren. ich möchte dich bitten über die konzepte zu sprechen, die hinter deinen arbeiten stehen. wie, zum beispiel, findest du die struktur, die abstände, auch die positiven und negativen formen, die wir in deinen wandobiekten sehen?

john carter

einige der früheren arbeiten in dieser ausstellung, z.b. die kleine skulptur "painted structure: squares" (1983) basieren auf einem konzept von negativen und positiven räumen, die genau nach flächen-inhalt errechnet sind (siehe fig. 1). dies brachte recht überraschende ergebnisse. es ist kaum zu glauben, daß das innere quadrat den gleichen flächeninhalt besitzt, wie das ihn umgebende dünne band, dies ist jedoch der fall.

die arbeit "assembly of rectangles i" (1981) z.b. ist flacher und mehr wie ein bild (siehe fig. 2). hier gibt es drei figuren, alle mit dem gleichen flächeninhalt, eine davon ist über die beiden anderen gelegt und zwar genau auf der seitenhalbierenden, sie verdeckt die halbe oberfläche der einen und die halbe oberfläche der anderen form.

eine andere arbeit aus dieser periode z.b. "equal areas within a square" (1983), ist ein quadrat, das vier innere formen einschließt (siehe fig. 3). jede dieser formen hat den gleichen flächeninhalt, ungefähr 400 quadrat-cm, aber jede dieser formen ist ein unterschiedliches rechteck. diese vier formen zusammen entsprechen der oberfläche der negativform und bilden somit eine exakte entsprechnung von flächen und formen.

die tiefe dieser arbeit ergibt sich nun wiederum aus einer fläche, die sich nach hinten stülpt und die wand berührt. die tiefe ist flächengleich der aus dem innern des quadrates ausgeschnittenen fläche. so geht nichts verloren, es gibt keinen abfall! die gesamte negativfläche ist zu seitenflächen geworden. auf diese weise wird das quadrat zu einer fläche, die von der wand wegfliegt. "corner – equal areas and spaces" (1985) zeigt die gleiche vorgehensweise (siehe fig. 4).

1979 arbeitete ich an einem thema: "rahmen" (siehe fig. 5 & 6), diese obiekte arbeiten mit der leeren form, oder dem negativen umriß. diese leeren formen sollten eine kraft haben, ebenso stark wie der rahmen, der sie umschließt. die rahmen ließen die leeren flächen handgreiflich werden. diese werkgruppe besteht jeweils aus paaren, in denen ganz offensichtliche ähnlichkeiten vergleichend einander gegenübergestellt sind.

in einer anderen hier ausgestellten arbeit "untitled theme: pierced blue square" (1986), haben die sehr kleinen löcher offensichtlich die gleiche visuelle kraft wie die fläche, in die sie hineingeschnitten wurden (siehe fig. 7). du kannst diese arbeit in zwei richtungen lesen; entweder als bänder mit löchern dazwischen oder als ein quadrat mit scheinbar zufälligen löchern. ich mag einen anderen aspekt dieser arbeit, nämlich die tatsache, daß die löcher wie skulpturen sind. sie sind dreidimensional und haben doch einen grafischen effekt. auf den ersten blick nimmst du sie als gemalte flächen wahr. erst wenn du dich der arbeit näherst, erkennst du, daß es sich um reale löcher handelt.

fig. 1: "painted structure: squares" (1983), oil on plywood, 21,5 x 34 cm

fig. 1: "painted structure: squares" (1983), öl auf holz, 21,5 × 34 cm

fig. 2: "assembly of rectangles I" (1981), oil on plywood, 159 x 60 cm

fig. 2: "assembly of rectangles i" (1981), öl auf holz, 159 × 60 cm

fig. 3: "equal areas within a square" (1983), oil on plywood, 120 x 120 cm

fig. 3: "equal areas within a square" (1983), öl auf holz, 120 × 120 cm

klaus staudt

kannst du etwas über die verbindung zwischer der form und der dicke deiner wandarbeiten sagen?

john carter

dies ist eine sehr treffende frage, hier habe ich viele zweifel und probleme. ein sehr gebräuchliches muster zur bestimmung der dicke einer arbeit ist wie folgt: du bestimmst, daß die breite des benutzten elementes gleich der dicke sein soll. verwende ich zum beispiel eine säulen-ähnliche form (siehe fig. 8), so werde ich sie gleich breit und gleich tief konstruieren.

in anderen fällen aber stelle ich vielleicht fest, daß auf diese weise die arbeit zu dick und die form zu schwer wird. wenn ich das beobachte, dann wechsle ich zu einem anderen system über. ich bestimme z.b: die dicke soll immer die hälfte der breite des elementes sein, oder bei "untitled theme: progression ii“ (1987) wurde zum beispiel der goldene schnitt angewandt, um die dicke zu bestimmen. die arbeit "untitled theme: pierced blue square" (1986) begann ich mit dem plan, die breite der darin verborgenen bänder auch als maß für die dicke der gesamten arbeit zu setzen; aber dann stand ich vor einer arbeit, die viel zu massiv wurde (siehe fig. 7). so änderte ich meinen plan während des arbeitsprozesses: (etwas, das ich sonst tunlichst vermeide) und baute eine fläche, die scheinbar vor der wand schwebt. die ehemals geplante dicke verarbeitete ich zu einem block, der hinter der fläche liegt, der block ergibt den abstand zur wand und in ihn konnten dann die löcher geschnitten werden.

ks

der eindruck, daß die flächen schweben, ist sehr interessant, du kannst ihre lage nicht orten. sie kommen nach vorne und gehen zurück und gehen zurück und kommen nach vorne. sie schweben wirklich. sie haben verschiedene positionen im verhältnis zur wand. dies ist eine irritation, eine optische irritation. beabsichtigst du diese irritation in deiner arbeit?

jc

ich möchte lieber von störung sprechen als von irritation: irritation macht dich ärgerlich; eine störung ist behutsamer. in "double frame ii" benutzte ich quadrate und parallelogramme, um diese sehr subtilen abweichungen vom rechten winkel zu bekommen. ich denke, daß hier einer der wichtigsten aspekte meiner arbeit berührt wird, die idee einer stabilen form in verbindung mit einer nur sehr leicht gestörten form; gestört zum beispiel durch eine leichte verschiebung des winkels. du bist dir nicht so ganz sicher, was eigentlich passiert ist, aber du nimmst wahr, daß das, worauf du siehst, nicht der absolut normalen lage entspricht und daß irgendeine unterbrechnung, eine störung, vielleicht ganz minimal nur, stattfindet. hier ist etwas, das die aufmerksamkeit des betrachters weckt und ihn in einen dialog mit der arbeit verwickelt.

fig. 4: "corner – equal areas and spaces" (1985), acrylic on wood, 27 x 30 cm

fig. 4: "corner – equal areas and spaces" (1985), acrylfarbe auf holz, 27 × 30 cm

fig. 5: "two frames III" (1979), acrylic on wood, 143 x 56,5 cm

fig. 5: "two frames iii" (1979), acrylfarbe auf holz, 143 × 56,5 cm

fig. 6: "two frames II" (1979), acrylic on wood, 72 x 173 cm

fig. 6: "two frames ii" (1979), acrylfarbe auf holz, 72 × 173 cm

klaus staudt

du weißt, daß albers von factual facts und actual facts spricht, das heißt von tatsächlichem sachverhalt und vom wirkendem sachverhalt.

john carter

reden wir über den kontrast zwischen einem optischen effekt und einem realen effekt? schließt dies auch seine liniengravuren ein oder reden wir nur über die bewegung der farbflächen? [...]

ks

die farbe ist sehr wichtig, denke ich. kannst du etwas über die farbe in deinem werk sagen?

jc

in meinen früheren arbeiten, zum beispiel: "untitled theme: two reds“ (1984) und the "red cube“ (1983), "tall red“ (1979), wirst du bemerken, daß ich flache ölfarbe benutzte (siehe fig. 1). zu der zeit hatte ich auch die vorstellung, daß es wichtig sei, mit ziemlich kräftigen farben zu arbeiten. ich benutzte reine rot-töne und reine blau-töne. zugleich malte ich aber einige arbeiten mit sehr blassen farben. diese hatten als vorgänger eine reihe von öl-pastell-zeichnungen aus der mitte der 70er jahre.

ich malte immer noch flach. aber diese öl-pastelle wurden zum auslöser für meine spätere einsicht, was ich alles mit unebenen oberflächen erreichen könnte, indem ich als malmittel marmorpuder benutzte. alle meine arbeiten bestehen aus sperrholz-konstruktionen, die dann bemalt werden. die oberfläche von sperrholz mußt du mit spachtelmasse schließen und dann mit sandpapier schleifen. beim auftragen der farbschichten gehen die scharfen kanten verloren, die farbe verklebt sie und sie werden scheußlich. die präzision der form verlier sich unter den farblagen. die flache ölfarbe bildet eine haut die die oberfläche verbirgt. meine unzufriedenheit mit diesem zustand ließ mich experimentieren und nach einem passenderen malmittel suchen. die oberflächen meiner arbeiten baue ich seit 1985 aus einer mischung von acryl-binder, marmorpuder und pigmenten auf. die gespachtelten oberflächen schmirgele ich stutenweise, um sie flach zu bekommen und die kanten scharf zu erhalten.

ich gehe hier wie ein bildhauer vor. winzige unebenheiten als folge des schmirgelns bringen eine veränderliche farbigkeit auf die oberfläche. zuerst konnte ich das nur schwer akzeptieren.

unsere sehr puritanische haltung schreibt vor, daß farbe flach und perfekt zu sein hat. man gesteht sich die tatsache nicht ein, daß das auge unwillkürlich eine fläche nach irgendwelchen fixierungspunkten absucht. das auge ist unfähig leere und glätte zu ertragen. es gleitet an die ränder der flächen, wenn es nichts auf ihnen zum fixieren findet. die textur und die unterschiedliche tonalität des marmorpuders sind sehr hilfreich beim errichten eines netzes über die ganze fläche verteilter umd miteinander verbundener fixierungspunkte. diese halten das auge in einer bestimmten zone und helfe zudem noch die be-greifbarkeit und somit der begriff des objektes zu fördern.

ks

betrachtest du deine arbeiten als reliefs?

jc

ich bin froh, daß du hierauf zu sprechen kommst, denn die arbeiten in dieser ausstellung sind keine reliefs, sondern wandobjekte oder "cut-outs", "umrißschnitte". (scheren-schnitte, 'laub'-sägeschnitte). sie existieren als ganzer oder als in sich unterteilter umriß. hier gibt es keine elemente, die auf eine oberfläche geheftet werden, noch erzeugen diese arbeiten einen malerischen raum in welchem elemente scheinbar vor einem hintergrund schweben.

ks

im deutschen nennen wir das: "figur-grund"

jc

ja, figur-grund, genaul das habe ich in meiner arbeit hoffentlich vermieden!

ks

eine andere, ganz wichtige sache: deine strukturen verändern sich in abhängigkeit vom licht ich habe die farbe auf den flächen und in den schatten betrachtet es ist sehr interessant zu sehen, wie diese beiden faktoren vom sich verändernden licht verwandelt werden. die temperatur der farbe veränderte sich in diesen wenigen stunden, zwischen dämmerung und nacht.

jc

ich denke, dies ist ein bereich an dem du besonders interessiert bist, aus deinen eigenen künstlerischen gründen heraus. für mich im gegenteil ist das sehr störend. ich bevorzuge die blassen schatten des tageslichts, vielleicht auch weil ich in einem atelier mit oberlicht arbeite. galerien haben punktstrahler, die immer dramatische schatten um die arbeit werfen, diese sind für mich ein großes problem. ich möchte, daß die bildhauerische form meiner arbeit so klar wie möglich gesehen werden kann, dies ist der grund, warum ich tageslicht bevorzuge.

fig. 7: "untitled theme: pierced blue square" (1986), acrylic and marble on wood, 122 x 122 x 21 cm

fig. 7: "untitled theme: pierced blue square" (1986), acrylfarbe und marmorpuder auf holz, 122 × 122 × 21 cm

fig. 8: "untitled theme: vertical divisions" (1986), acrylic, marble on wood, 173 x 142 x 10 cm

fig. 8: "untitled theme: vertical divisions" (1986), acrylfarbe und marmorpuder auf holz, 173 × 142 × 10 cm

klaus staudt

nicht nur das licht verändert den charakter der arbeit. so, wie sich der betrachter von rechts nach links und von links nach rechts bewegt, entdeckt er verschiedene aspekte der arbeit und durch diesen wahrnehmungsprozeß wird er in die lage versetzt in seiner vorstellung das ganze objekt zu bilden, es zu rekonstruieren.

john carter

das stimmt. die struktur kann niemals nur aus einem einzigen blickwinkel her erschlossen werden, sie muss in der vorstellung des betrachters aus den verschiedenen blickpunkten her erstellt werden. auf diese weise möchte ich ihn dazu bringen, sich mit der arbeit auseinander zu setzen.

friedberg, september 1990

exhibition invitation: "john carter – objekte und zeichnungen" at edition & galerie hoffmann, 1990

ausstellungseinladung: "john carter – objekte und zeichnungen", edition & galerie hoffmann, 1990

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