dóra maurer gehört der österreichischen kunstszene ebenso an, wie der ungarischen. ihre verwurzelung in zwei kulturellen zentren erfordert ein hohes maß an beweglichkeit und offenheit, sowie eine aktive auseinandersetzung mit den bedingungen unterschiedlicher systeme und mit ‚grenzüberschreitung' als problem, nicht aber als hindernis. flexibel, gebietsübergreifend und experimentell ist auch ihre kunstauffassung, wobei dem phänomen der ortsveränderung und dem gezielten überlagern gegebener und präzise geplanter struktureller ordnungen eine zentrale rolle zukommt.
die künstlerin spielt in bild-und photoserien aber auch in filmen formale strukturen, unterschiedliche bewegungsabläufe oder individuelle menschliche verhaltensweisen gegeneinander aus. solche methodisch miteinander verknüpften beziehungssysteme summieren oder neutralisieren, verändern oder verlieren ihre ursprünglichen eigenschaften: aus der kombination zweier-oder mehrerer -ordnungen kann, aber muß keine neue übergeordnete ordnung resultieren, sondern sie ergibt unter bestimmten bedingungen absurde konstellationen, führt zu überraschend 'undurchsichtigen' situationen und läßt ungewöhnliche optische wirkungen entstehen, die der quantitativ verfolgbaren ursache zu widersprechen scheinen.
im bereich zwischen logischem konzept und emotionellem erlebnis ist jene unerklärliche differenz angesiedelt, auf die der künstlerische gestaltungsakt abzielt. es ist das sürreale moment im methodischen zahlenspiel und das methodische moment im sürrealen gestalten, das dóra maurer fasziniert und das sie als mittel einsetzt, um ihre einsichten in die uns bestimmenden verhältnisse und verhaltensweisen zu vermitteln.
im rahmen der buchberger raumkonzepte schuf dóra maurer 1982 im romanischen bergfried des schlosses buchberg am kamp (österreich) eine raumbemalung, die wände, gewölbe und fußboden umfaßt. aus diesem projekt ist die vorliegende mappe entstanden. die grundlage dieses projektes bildet die seit den frühen siebziger jahren entwickelte 'displacement'-serie: durch systematisches verschieben von acht diagonal gestreiften farbrechtecken über einem grundraster (vier warme und vier kalte farbtöne) entstehen vielfaltige farbverschränkungen. subjektiv ausgewählte ausschnitte aus einzelnen schritten dieses prozesses nennt maurer 'quasi-bilder'. im sinne des 'shaped canvas' können sie unregelmäßige umrisse aufweisen, wobei ihre form-und farbstruktur nach allen seiten offen bleibt. auch der buchberger-raum ist ein solches 'quasi-bild', doch in diesem fall ausgebildet als eine vorgefundene, räumliche kombination verschiedenartig geformter flachen:
auf den siebzigsten schritt der 'displacement-serie' (blatt i) legte maurer die in die flache geklappten raumbegrenzungen, sodaß sich die diagonale des bodens mit jener des grundrasters deckte (blatt ii). die dadurch erzielte verteilung der farbstreifen auf den begrenzungsflächen des raumes übertrug sie ohne weitere eingriffe auf die wand- und gewölbefelder und auf den fußboden (blatt iii-foto):die räumliche anordnung der teil-flächen zerreißt den in der flächenprojektion noch ersichtlichen zusammenhang der formen. die einfache, großflächige ordnung des kreuzgratgewölbten raumes tritt mit der kleinteiligen ordnung der farbstreifen in eine gespannte wechselbeziehung. es entsteht eine ergebnissphäre, deren charakter durch die interferenz des farbsystems, des formsystems und des raumsystems bestimmt wird. die daraus resultierende absurde raumsituation packt den betrachter durch ihre aggressive wirkung; sie fasziniert ihn durch eine fülle verschiedenartiger farb- und formkonstellationen durch optische irritation und durch perspektivische illusion. der raum bewegt sich, dehnt sich aus zieht sich zusammen, vibriert.
das vierte blatt in dieser mappe ist ein detail aus der gewölbezone. dóra maurer hat es verkleinert und in die fläche zurückübertragen. man könnte von einem 'quasi-bild' zweiten grades sprechen, das zeigt, wie die malerin aus ihrem offenen grundkonzept immer wieder neue gestalten entwickelt.
ein weiteres ergebnis der buchberger raumbemalung ist film, beziehungsweise eine video-kassette. dóra maurer dokumentierte in der ausführungsphase ihre eriebnisse im raum und mit dem raum: sie analysierte mit der kamera in der hand ihre eindrücke, montierte daraus ihre individuelle interpretation der arbeit in verbindung mit dem ihr zugrunde liegenden konzept. bewegungen vielfältigster art durchsetzen den film: eigenbewegung beim malen und wirbelndes drehen, sonnenuntergang und windbewegte baumwipfel in der umgebung, fließendes wasser und rinnende farbe, lineare pinselführung auf buckeliger wand und krabbelnde mauerschaben und summende fliegen. bewegung als kunstprinzip und beweglichkeit als lebenshaltung.
dieter bogner, 1983