werkübersicht ii
leon polk smith
1946-80/1995
original-serigraphie auf bütten
81 × 116 cm
edition hoffmann
auflage von 90
signiert, datiert und nummeriert
11-teiliges mappenwerk
herausgeber:in: edition hoffmann
gestaltung: karl-achim czemper
druck: edition hoffmann
"drei elemente, die mich in der kunst interessiert haben, sind: linie, farbe und das konzept des raums und seine nutzung als positive kraft." leon polk smith, 1961
klar, unmissverständlich eindeutig und eingängig legt leon polk smith in diesem, nur einen satz die grundlagen seines künstlerischen schaffens offen. einerseits ist der satz in seiner klarheit und präzision ausdruck der selbstgewissheit des künstlers, sich auf dem höhepunkt seines wirkens zu bewegen. andererseits wirft der satz in seiner radikalen reduktion des künstlerischen aktionsfelds auf nur drei elemente – linie, farbe und raumkonzept – nicht nur die frage nach der rolle anderer künstlerischer ausdrucksmittel wie formen, flächen, bild-aufbau und ordnungsprinzipien auf, sondern auch die frage nach übergreifenden künstlerischen positionen und botschaften im werk von leon polk smith, welche er am schluss des satzes sehr allgemein als positive kraft beschreibt. zentrale anknüpfungspunkte zum tieferen eindringen in seine positionen liefern die bezeichnungen zwei seiner hauptwerkgruppen mit "correspondence series" und "constellation series".
unter biografischen gesichtspunkten beschreiben diese titel im übertragenen sinn auch das spannungsfeld seiner halbindianischen herkunft aus den weiten des verarmten oklahomas zu zeiten der großen depression, wie sie woody guthrie in seinen liedern und dorothea lang in ihren fotografien beispielhaft dokumentieren, und seines weiteren lebens ab mitte der 1940er-jahre in der weltmetropole der westlichen moderne new york. sie war seine liebe auf den ersten blick.
auf der künstlerischen seite legen die beiden serien umfassend zeugnis von leon polk smiths intensiver auseinandersetzung mit der abstrakten europäischen avantgarde ab, insbesondere mit piet mondrian, aber auch hans arp und constantin brâncusi. nicht nur die korrespondenzen zwischen vertikal und horizontal im frühen abstrakt geometrischen werk von leon polk smith schlagen eine direkte brücke zu piet mondrian, sondern auch seine späteren konstellationen aus einzelwerken und -elementen im raum, wie sie mondrian bereits von 1921 bis 1936 in seinem pariser und von 1938 bis 1944 in seinem new yorker atelier realisiert hatte. den raumkonzeptionen von piet mondrian und leon polk smith liegen die gleichen intentionen zugrunde, den anscheinend banalen und leeren zwischenraum zwischen einzelnen von ihnen im raum platzierten werken oder werkelementen in ein übergreifendes, positiv aufgeladenes und immaterielles kraft- und spannungsfeld zu verwandeln.
dieses künstlerisch und konzeptuell ideelle band zwischen piet mondrian und leon polk smith lässt sich räumlich, bildnerisch und auch biografisch noch weiter spannen: sind es bei leon polk smith die weiten von oklahoma, die auf das rechtwinklige horizontale grid des stadtplans von new york und die daraus emporstrebenden vertikalen häuserlandschaften treffen, ist es bei mondrian der weg von den weiten der niederländischen polderlandschaften zu seinen abstrakt konkreten vertikal-horizontal-bildkompositionen, welche mit seiner migration nach new york folgerichtig ihren abschluss in den boogiewoogie-bildern finden. beide künstler eint, ausgehend von ihren wurzeln, das stete streben nach einem universellen und dynamischen gleichgewicht von raum und form mittels der konkreten abstraktion.
gut zehn jahre brauchte leon polk smith, um sich 1954 aus diesem strengen system der vertikalen und horizontalen zu befreien und die gestalterisch erweiternden möglichkeiten der gebogenen linie und runden form unter einbeziehung der farbe für dieses ziel zu entdecken. zwar nutzte auch schon mondrian das oval und die diagonale in seinem werk. aber ihr kompositorischer einsatz war für mondrian selbstbestimmt limitiert. jede seiner bild-erfindungen und -entscheidungen blieb strikt an die regeln und gesetze seiner philosophie des neoplastizismus gebunden.
dieser schritt leon polk smiths markiert mehr als nur seine persönliche befreiung von mondrian, er steht auch stellvertretend für die unterschiedlichen voraussetzungen zwischen der alten und der neuen welt im entwicklungsprozess der moderne des 20. jahrhunderts. war der aufbruch der moderne in der alten welt geprägt von den auseinandersetzungen mit kulturellen traditionen in räumlich über jahrhunderte erschlossenen territorien, so standen dem die jungen erfahrungen der neuen welt mit dem beschreiten, entdecken, erobern und erschließen eines neuen raums, einer neuen, ungeahnten weite gegenüber. von diesen erfahrungen sprechen das leben und das werk leon polk smiths.
die befreiung von mondrians europäisch geprägter moderne eröffnete ihm neue, radikale möglichkeiten, um universell den raum an sich, befreit von philosophischen, religiösen, moralischen oder gesellschaftlichen hintergründen und schranken zu gestalten. die freude und lust an dieser neu entdeckten freiheit geometrischer abstraktion wohnt ungebrochen allen seiner arbeiten in den farben- und formenwelten, den linien und flächen, ihren korrespondenzen und den konstellationen im raum inne.
"zu dieser zeit begann ich zu spüren, dass wir, obwohl ich diesbezüglich noch nie eine philosophie gelesen hatte, die geschichte des menschen in unseren genen haben (...) und dass wir eines tages in der lage sein werden, dies anzuzapfen." leon polk smith, 1964
werner möller, 2021