hoffmann

vier linien

diet sayler

1977/1983

original-serigraphie auf bütten

50 × 50 cm

edition hoffmann

auflage von 20

signiert, datiert und nummeriert

5-teiliges mappenwerk


herausgeber:in: edition hoffmann

text: heiner stachelhaus

gestaltung: diet sayler

druck: edition hoffmann

2800 € inkl. MwSt.

die winkelkonstellationen von diet sayler sind das resultat bestimmter linienverläufe. das spezifische daran ist, daß die der linie innewohnende dynamik durch die eigentümlichen winkelbrechungen betont wird. diese sind ergebnisse ästhetischer entscheidungen. die bildnerischen spannungen ergeben sich aus unüblichen linienverläufen jenseits des rechten winkels.

kandinsky hat "die geometrische linie" als "ein unsichtbares wesen" bezeichnet, als "die spur des sich bewegenden punktes, also sein erzeugnis". die linie, so kandinsky, "ist aus der bewegung entstanden – und zwar durch vernichtung der höchsten in sich geschlossenen ruhe des punktes". dies markiert für ihn den "sprung aus dem statischen in das dynamische".

diese metaphysische dimension der linie reduziert sayler auf ihre konkrete visuelle erscheinung. deutlich wird, daß das schema von spitzen, rechten und stumpfen winkeln durchbrochen wird. dadurch werden der bewegung auf der fläche ungewöhnliche richtungen zugemutet, die eine irritation der augen bzw. eingeübter sehweisen zur folge haben – die geometrie gerät mehr oder weniger aus den fugen; der durch die jeweilige winkelkonstellation definierte raum erweist sich als idealer spielplatz für künstlerische entscheidungen, die sowohl von planung als auch vom zufall bestimmt sind.

die von sayler entwickelten linienverläufe sind keine geometrischen "figuren", sondern sehen nur so aus, als ob sie geometrischen ordnungen folgen. in wahrheit sind sie freie ästhetische formeln, die auf ein minimum an äußerer wirkung beschränkt und im grund alogisch sind. besser: die winkelkonstellationen sind das ergebnis der ambivalenz von logik und alogik. sayler geht von klaren geometrischen tatbeständen aus und gelangt zu ungewöhnlichen verläufen, die die logik des geometrischen einstiegs auf den kopf stellen. oder anders ausgedrückt: unverrückbare ordnungsstrukturen werden durch zufallsentscheidungen relativiert. die bewegungen und richtungen auf der fläche, im raum sind prinzipiell offen und prinzipiell nicht festlegbar.

das hintergründige der winkelkonstellationen von diet sayler, also ihre künstlerische botschaft ist schwierig zu erfassen, weil infolge der formalen minimalisierung jede dramatische zuspitzung vermieden ist. bei näherem hinsehen ergibt sich freilich gerade dadurch die chance, zusammenhänge zwischen bewegung, d.h. linienverläufen und menschlichem bewußtsein zu erkennen, beziehungen von mensch zu zeit und raum zu verstehen. deutlich wird auch, daß sayler kein klassischer konstruktivist ist, daß er – im gegenteil – daran interessiert ist, das visuelle dogma des konstruktivistischen denkens aufzuheben, rechtwinkligkeit in frage zu stellen, auf dem unsicheren feld von bewegung und empfindung zu operieren, die möglichkeit permanenter veränderung (letztlich auch in gesellschaftlicher hinsicht) vor augen zu führen.

die winkelveränderungen, die diet sayler vornimmt, sind, quantitativ gesehen, immer klein. er knüpft die philosophische hoffnung daran, daß diese geringen veränderungen in qualität umschlagen, auf daß die essenz seines werks verständlich wird. bei scharfem hinsehen, wozu das werk ausdrücklich einlädt, wird sich herausstellen, daß solche hoffnung nicht unberechtigt ist.

heiner stachelhaus

werke

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