hoffmann

metapher zahl

peter downsbrough, heinz gappmayr, rupprecht geiger, eugen gomringer, helmut heissenbüttel, franz mon, gerhard rühm, wolfgang schmidt, timm ulrichs, jiří valoch, emmett williams

1985-89

original-serigraphie auf bütten

107 × 80.5 cm

edition hoffmann

auflage von 90 + 30 e.d’a.

signiert, datiert und nummeriert

20-teiliges mappenwerk


herausgeber:in: edition hoffmann

text: matthias bleyl

druck: edition hoffmann

die vorliegende grafik-edition rupprecht geigers trägt den titel "metapher zahl". dies beinhaltet zum einen eine wie auch immer geartete beschäftigung mit ziffern als eines rein flächenhaften formelements. zum anderen eine wie auch immer geartete form der umschreibung eben dieses ausgangsmaterials. auch andere kunstler haben sich für ihre arbeit der ziffer bedient, besonders im bereich der amerikanischen pop art. robert indianas "number-paintings" genannten zahlenfigurationen der 60er jahre tendierten auf eine gleichgewichtung der relationen von grund und figur, so daß für das auge alternative figuren entstehen konnten. dies geschah besonders unter ausnutzung der optischen gesetze, die etwa die hellblauen "hohlräume" einer 3 gegenüber der roten zahl selbst hervorheben konnten. auch jasper johns bediente sich der flächengebundenen ziffer für seine druckgrafischen experimente in den "color numerals" der späten 60er jahre, einer lithografischen serie von zustandsdrucken, die von hand weiterbearbeitet wurden („working proofs“), um die innovativen gestaltungsmöglichkeiten des mediums auszuloten.

in jedem fall war es die kategoriale flächenhaftigkeit der ziffer, welche bewußt malerischen gestaltungsabsichten, das heißt im bewußtsein auch ihrer flächengebundenheit, als quasi bedeutungsfreie ausgangsform entgegenkam. die ziffer als solche, das heißt als bloße form, ist völlig bedeutungsfrei. nichts deutet unter formalem gesichtspunkt darauf hin, daß die form 3 dem wert "drei" zu entsprechen habe; theoretisch könnte sie genauso gut für den wert "fünf" oder für jeden anderen stehen, letztlich ist dies eine frage ihrer kodierung, also einer übereinkunft auf der bedeutungsebene, nicht aber eine frage der form. in welcher weise bedient sich rupprecht geiger der ziffer? hat hier die zahl irgendeine bedeutung? welcher wert kommt der farbe zu? was hat es mit der metaphorisierung auf sich? hier bietet ein abriß seiner malerischen leistung sowie selbstäußerungen wichtige hinweise.

geiger gehört mit zu den ersten künstlern, die nach dem krieg zu einer gegenstandslosen malerei als dem adäquaten ausdruck ihrer zeit fanden, und er erreichte dies in erster linie durch eine fast als einseitig zu bezeichnende hinwendung zur farbe, als 1949 in münchen mit seiner beteiligung die gruppe zen 49 entstand, zeigte er überraschend kühne kompositionen unregelmäßiger formen, die eindeutig von der farbe bestimmt werden. geiger entwickelte seine asymmetrischen bildformate allein aus der eigendynamik der farbkonstellationen. farbe und form bedingten dabei einander.

der künstler hat sich vielfach zu seiner malerei geäußert, schon in der damaligen zeit werden seine überlegungen von der farbformproblematik bestimmt, so notiert er schon 1949; "beim abstrakten bild soll im wesentlichen die farbe selbst zur aussage kommen, im bild eine schöpfung durch die sprache der materie sein. die farbe wird beim auftrag den ihr eigenen gesetzen folgend ihre form prägen. die zur form gedrängte farbmaterie soll auf keinen fall an irgendwelche gegenstandsform erinnern, die gedanklich von der farbe ablenkt, dieses eine art farbformbild kennt kein oben und unten", geiger setzt also keine vorgegebene farbformidentität voraus auch keine artifizielle bestimmung durch den künstler, sondern vertraut auf die kraft der farbe, ihre eigenen form - mit seiner hilfe - selbst zu finden: "ich bin davon überzeugt, daß farben formen entwickeln können". dies geschieht jedoch nicht durch seinen willen, sondern in folge eines identifikatorischen sich-einlassens auf die farbe, sozusagen in einer spezifischen, von der farbe bewirkten stimmung: „farbe hat keine bestimmbare wesensform. während des malens werden jedoch bei ausschaltung des intellekts kräfte frei, die zur gestaltung einer verbindlichen farbform führen". der künstler suchte daher schon früh nach äußerungsmöglichkeiten des der farbe eigenen charakters, nach der objektiven äußeren erscheinung und dem inneren wesen der farbe, sozusagen nach ihrem porträt. hierfür durfte er sich als individuum so wenig wie möglich selbst äußern, mußte also - ungewöhnlich in den 50er jahren - die subjektive malgestik weitgehend vermeiden: "handschrift und form im auftrag der farbe kann die wahrnehmbarkeit der farbe eher verhindern. monochrom moduliert gibt farbe dagegen eine sehr direkte aussage über sich selbst, wesentliche eigenschaften werden erkennbar. eigenarten und fähigkeiten der farbe sollen erkennbar gemacht werden und dann dem gesetz der farbe gehorchend angewendet werden. so kann farbe zu großer wirkung gelangen. farbe hat viele eigenschaften: matt, stumpf, geschlossen, dicht, verdämmernd, düster, glänzend, erregend, leuchtend, strahlend, reflektierend, transparent, heiter, schockierend, brutal usw. farbe hat sich offenbart. hat man farbe so gesehen, hat man gewissermaßen das porträt einer farbe. die farbe selbst war das motiv".

geiger beschränkt sich seit anfang der 60er jahre zunehmend auf den komplex der farbe rot im weitesten sinn, also in einer spannweite etwa von gelborange bis nahezu blauviolett, schafft also – in seinem verständnis – immer und immer wieder neue porträts von ihr. "ja, kadmiumrot – oder orange, an sich sehr leuchtende farben müssen sich gegen dieses kalte rot durchsetzen; gegen seine vehemenz. es kommt zu einem dramatischen geschehen, das mich fasziniert. ich bin wegen dieses leuchtröts angegriffen worden; aber ich bin fest davon überzeugt, daß man diese intensiven farben verwenden muß. (...) ja, das leuchtrot hat die funktion des kontrapunktes übernommen, oder noch besser, wie ich ihn nenne, des exponenten, der am rande des bildes läuft, an dem sich die anderen farben messen – er wirkt als maßstab". der maler verzichtet damit nicht nur auf komposition, sondern auch weitgehend auf eine relativierung seiner farben, die sollen sich nicht im gegensatz zu konkurrenten definieren, da ihre eigenwirkung dabei eingeschränkt wäre. allerdings verzichtet er auch noch nicht auf eine art leitlinie der farbdefinition. diese ist dem gleichen farbbereich entnommen, befindet sich aber dennoch in einer art gegenposition, nämlich in einer anderen farbtemperatur, die dicht bei gelb oder violett liegen kann, und ermöglicht damit die selbstbestimmung ihres nachbarn ohne farbige gegensätze und damit eine steigerung. die folge ist eine verabsolutierung der sich gegenseitig steigernden rottöne zur wirkung eines – wenn auch in sich differenzierten – gewaltigen rot, das als eigenwert wie auch als sein eigener maßstab fungiert.

unverkennbar ist die räumliche qualität dieser malerei, doch ist diese eher die einer nicht greifbaren unendlichkeit keineswegs rationalisierbarer, lichthafter räume und läßt sich daher zu recht als nicht illusionistisch, sondern konkret bezeichnen, da sie aus der farbe selbst heraus entsteht. ein raumeindruck wird nicht mit ihrer hilfe erweckt, sondern stellt sich aufgrund der spezifischen eigenschaften der farbe, ihrer lichthaftigkeit und temperatur, zwangsläufig ein. einen hohen wirkungsgrad im sinne der, bereits als vom maler angestrebtes ziel genannten, farblichen objektivität gesteht geiger bereits einem unregelmäßigen farbfleck zu, der irgendwie auf eine wand gesetzt wurde, nur wird der unwillkürlich entstandene fleck seinem aesthetischen anspruch nicht gerecht. daher zieht er elementare formen wie rechteck und kreis vor, sowie das oval, quasi als verbindung dieser beiden. solche formen haben an sich ein hohes maß an anonymität, sowie große naturferne. sie sind allgemeingültig gewordene kulturerrungenschaften und können daher das objektive wirklichkeitserlebnis der farbe formal kaum beeinträchtigen. für geiger sind sie daher ideale träger des eigencharakters der farbe. dies bedingt zweierlei, nämlich die schon erwähnte beschränkung in der auswahl der farben mit der tendenz zur monochromie und damit auch einen weitgehenden verzicht auf eine unterschiedliche kräfte ausgleichende komposition. im extrem sind die, bisweilen miteinander kombinierten, elementaren formen jeweils träger nur einer farbe, wobei diese oft nicht einmal mehr moduliert.

seit mitte der 60er jahre bereicherte sich geigers fast nur auf rot beschränkte farbskala durch neue technische möglichkeiten, wie zum beispiel leuchtfarben, die der maler sofort aufgegriffen hat. geiger verwendet sie seither oft, was etwa in verbindung mit roll- oder sprühtechnik zu einer völligen immaterialität der farbe führt. keinerlei arbeitsspuren verraten die herstellung des bildes, es scheint zeitentrückt zu existieren. die leuchtkraft der synthetischen farbe führt zu farbwahrnehmungen ganz ungekannter, bisweilen in ihrer ungewohntheit überwältigender art. damit konnte geiger das einlösen, woran er schon einige jahre zuvor gedacht hatte: "aber ich glaube, (..) daß es gewiß gut ist, wenn farben neu aufkommen, die den reiz des unbekannten, unergründlichen haben, auch im sinne des abstrakten. wie es eine abstrakte komposition in der musik, in der malerei gibt (...) so könnte ich mir vorstellen, daß man abstrakte farben entwickeln könnte, die von nie gesehener leuchtkraft sind und dennoch außerst wohltuend wirken, einen neuen zauber ausstrahlen".

geigers "metapher zahl" weist alle hier beschriebenen qualitaten auf, man findet kreis-, oval und rechteckformen im weitesten rotbereich mit leuchtenden tönen bei weitgehend anonym gehaltenem farbauftrag auf beziehungsweise in – ein kaum größeres bildrechteck gesetzt, woran sich nochmals zeigt, daß es dem maler nicht auf eine vom intellekt vorbestimmte identitätsverordnung von farbe und form ankommt, sondern um quasi neutrale träger der ihn primär interessierenden farbe. jeder farbformwert wird als individuum betrachtet und eigens bestimmt, die einzelnen blätter sind bis zum rand farbig, so daß die farbformen darin wie in einem farbkosmos zu schweben scheinen, das heißt quasi frei verfügbar ohne eine deutliche festlegung auf oben und unten. das blatt "2" zeigt bespielsweise auf einem mittleren gelbton eine leicht modulierte ovalform eines eher kühlen rot, die aus der mittelachse nach rechts verschoben ist, sowie einen horizontal gelagerten schmalen rechteckstreifen mit dunklem violett nahe dem unteren rechten rand. geiger hat diese konstellation 1984 auch in einem dreidimensionalen objekt gestaltet, dessen konstellation jedoch deutliche unterschiede zeigt. die etwas stärker abgeflachte ovalform lagert direkt auf dem räumlich noch weiter nach vorn ausgreifenden horizontalem element – hier ein körperhafter balken –, dessen linker abschluß die vertikale mittelachse des ovals nach unten fortsetzt. er selbst ist anders proportioniert, gedrungener, mit mehr fläche für die farbe, die hier allerdings ein mittleres rot zeigt. oberhalb des balkens, beziehungsweise rechts des ovals befindet sich eine orangegelbe rechteckfläche, die nicht die äußersten punkte der beiden farbformen überschreitet. dies ist sozusagen das rudiment der grundfläche, die ein objekt nicht in ganzem umfang nötig hat. die unterschiede der räumlichen und der flächigen bearbeitung sind signifikant. auf der fläche muß das verhältnis von formen und farben anders bestimmt werden als im raum, was zu den genannten unterschieden führt. es gibt für geiger kein beharren auf einer vorgegebenen "objektiven wahrheit", nur die stimmigkeit des individuellen.

hierbei wird nun deutlich, daß die zugrundeliegende zahl längst aus dem blickfeld verschwunden ist. man weiß, daß namhafte komponisten sich beim spielen von melodien anderer komponisten zu eigenen kompositionen inspirieren ließen, ohne daß man dies als plagiat empfinden könnte, die ausgangsmelodie regt lediglich die eigene gestaltungskraft an, ähnlich einem gewürz, das die verdauung stimuliert. die ziffernfolge ist für geiger nur eine art vorgegebenes thema für eigenständige variationen, mit dessen hilfe er jede formale willkür von vornherein vermeiden kann, die entwicklung der farbformen wird durch die grundlage der zahlenreihe 0 bis 9 angeregt und erleichtert, diese wird jedoch nicht illustriert. das ergebnis wäre nur noch mühsam auf die jeweilige ziffer rückführbar, doch liegt dies auch nicht in der absicht des künstlers. der begriff metapher legt es offen: die ziffern werden hier nicht nur geschrieben, sondern vielmehr um-geschrieben zwischen der zugrundegelegten ziffer und der schließlich gefundenen farbform besteht keine direkte verbindung mehr. anders als in der pop art ist hier die les- und dekodierbarkeit der ziffer im bild nicht mehr gewährleistet. das autonome bild ist nur noch eine metapher der zahl im sinn einer um-schreibung.

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